Der Wanderer

ein wanderer einst einsam auf einem felsen saß

vom tau noch feucht, so war das gras

er grad über das dasein dachte

welch dinge man bisher vollbrachte

wohin jetzt weitergeh’n?

 

der nebel, der übers land sich beugte

auf einmal löcher in sich räumte

und aus der ferne trat ein licht

das endlos farben barg in sich

es war so tausendschön

 

er traute seinen augen kaum

was soll’s, es war doch nur ein traum

doch da rief jemand seinen namen

aus licht nun zwei gestalten kamen

und stimmen sangen ganz leis’ lieder

 

der eine ruhig und sehr bedacht

der zweite grinsend, sich fast lacht

und doch sie schienen wie brüder gleich

traten ein in dieses reich

dort dem felsen gegenüber

 

dem wanderer der atem stockte

und regungslos auf seinem steinsitz hockte

da ergriff der zweite schnell das wort

und vorlaut, stellt’ sich nicht mal vor

sprach er sogleich mit losem mund

 

der erste mahnte, er sollte schweigen

tat sich vorm wanderer verneigen

sie seien freunde, wurden gesandt

kommen vom weiten anderland

sie bringen heil, nicht wund

 

der wanderer, sichtbar erleichtert

fühlt’ sich der wärme nun bereichert

schloss bündnis mit den beiden wesen

die eben noch nicht dagewesen

und reichte ihnen seine hand

 

der erste sprach von ihrem ziel

vom zweiten kamen fragen viel

sie waren gar nicht mehr so fremd

der wanderer längst ungehemmt

er langsam nun verstand

 

da klang des zweiten stimme wieder

der wind jetzt sang ganz laut die lieder

er forderte den wandersmann

aufzumerken, sah ihn an

dies ist nicht einerlei

 

er sagte ihm, es ist soweit

gedenken der vergang’nen zeit

und lehrte laut den wandrer strenge

sein mund ward spitz und bissig enge

was für ein unmensch er wohl sei

 

„unmensch?” - der wanderer sprach nun im steh’n

„verzeiht, mein herr, dies wär’ zu schön

denn schaut euch um im ganzen land

beherrscht wird es von menschen hand

sich anmaßt, über alles richt’

 

und weil ich einer davon bin

versteh’ ich nicht der rüge sinn

unmensch? - ich frag’s noch einmal

ich bitte euch, es ist fatal

dies kompliment gebührt mir nicht”

 

der zweite wieder reden will

doch erster fiel ins wort: „schweig still!”

und dem wanderer zugewandt

sich jetzt erhob, in größe stand

er sprach manch kluges wort

 

sie konnten in die augen seh’n

und gesten gaben zu versteh’n

gefragt vom ersten, der gab sich weise

der wind nun wieder summte leise

fuhr der wandersmann nun fort:

 

„zuerst mich des germanen schämte

die vergang’ne zeit dazu bewegte

 dann war es meiner blass haut farbe

durch meinesgleichen kam die narbe

in dieser welt, in der ihr steht

 

doch dies sollt’ noch nicht alles sein

hört durch den wind, die erde weint

das großgeschöpf verdreht den sinn

ein dieb, ein narr, ich mittendrin

ich hoffe, ihr versteht”

 

das war’s - und setzt sich nieder

der wind noch immer sang die lieder

der tau war fort, das gras längst trocken

ein paradiesisch ort, wie ungebrochen

still schien zu steh’n die zeit

 

der erste, der noch immer stand

den zweiten zu sich hoch verlangt

ein silbenschwarm durch raum jetzt rann

dann schaute er den wandrer an

und sprach ab jetzt für beid’:

 

„hör zu, mein freund” - und er blieb steh’n

„wir können deiner gut versteh’n

doch, obwohl wir diese sorge teilen

kannst du hier nicht mehr länger weilen

es bleibt nur eine rast

 

den pfad, auf dem du dich befindest

doch pass auf, dass du nicht erblindest

musst weitergeh’n in selb’ge richtung

triffst dabei auf manche lichtung

doch trägst auch oft die last”

 

„nun gut” - sagte der wandersmann

„doch komm’ ich irgendwann mal an

ich meine, gibt es das große ziel

denn nebenpfade gibt’s sehr viel

wo ist der wahre ort?

 

was ist, wenn ich des wanderns müde werde

und mein korpus ruft nach mutter erde

wenn meine seele sehnt sich, leicht

hineinzukommen in euer reich

holt ihr mich dann hier fort?”

 

„zuerst” - so sprachen beide nun

„die hoffnung, die wird nimmer ruh’n

wirst öfter mal vom wege kommen

doch, wenn du aufpasst, ganz besonnen

findest den hauptpfad wieder

 

und was das andre dich besorgt

niemand holt dich früher fort

schau dort am horizont, das morgenrot

vernichtet stets der seele not!”

der wind verstummt die lieder

 

 

 

und nebel tut sich just nun binden

die wesen blass, dann ganz verschwinden

ein letztes mal noch funkt das licht

paradiso auf zum ufer bricht

dann sind sie beide fort

 

der wanderer, so es nun scheint

das herz in leiser Freude weint

macht sich nun auf, wind ist am weh’n

weiß nicht, wie lange er wird geh’n

und abschied nimmt der ort

 

 

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